Drucken

In der Nacht hat es ein bisschen geregnet. Als ich gegen 4 Uhr mal raus muss, begegne ich einer dicken Kröte, die mich erstaunt anstarrt. Morgens in der Früh hören wir die anderen kramen und stehen auf. Ich nehme rasch eine „Dusche“ im Fluss und komme herrlich erfrischt an das schon wieder fackelnde Lagerfeuer, diesmal nicht nur mit Tee, sondern es gibt auch Kaffee, wunderbar! Gestern hat uns Martin eine Wanderung in den Canyon vorgeschlagen. Er kennt die Strecke auch nicht und ist neugierig. Natürlich wollen alle mit. Wir vereinbaren: Max. 2 Stunden in das Tal hinein und dann zurück. Doch es soll anders kommen.

Wir nehmen den kleinen Anstieg zum Bus, der mir gestern so lang vorkam. Jetzt merke ich – ohne Gepäck und in Kenntnis der Strecke: es sind wirklich nur 250 m und mache eine kleine Abbitte an Martin, den ich gestern etwas angemuffelt hatte: „Erzähl‘ nicht es seien 250 m, wenn es doch viel mehr ist.“ Oben am Bus tanken wir noch mal Wasser und sind gleich wieder von den Kindern der Siedlung umringt.

Wir gehen an der linken Seite des Flusses entlang. Schnell werden aus dem kleinen Pfad nur noch verzweigte Ziegen- und Schaftritte, die am Hang entlang laufen. Wir queren Hänge mit vielen losen Steinen, Steinrinnen und andere kleine Hindernisse. Trotz strahlendem Sonnenschein laufen wir noch im Schatten des Hügels neben uns. Die gegenüberliegende Seite liegt in der Sonne. Dort läuft ein ausgetretener Weg den Fluss entlang. Ein bisschen neidisch schaue ich rüber: „Warum laufen wir nicht da?“
Nach rund einer Stunde beraten wir uns. Wollen wir weiter auf dieser Seite laufen und nachschauen, was hinter der nächsten Kurve liegt, dort, wo der Canyon enger zu werden scheint? Soll es langsam zurückgehen oder wollen wir den Hang hinunterklettern, den Fluss queren und auf der anderen Seite wieder zurücklaufen? Wir schauen den Hang hinab, um  eine Stelle zu finden, an der wir den Fluss trotz Gepäck überqueren können. Eine Furt, wie mensch sie sich so langläufig vorstellt, ist dort jedenfalls nicht zu sehen. Doch Martin zeigt uns die Stelle, von der er meint, dass es ginge.

Eigentlich bin ich dafür, noch mal um die Ecke zu schauen, dann zurückzukommen, den Fluss zu queren und unten am Fluss entlang zurück zu gehen. Ich habe den schönen bequemen Weg im Gedächtnis, den ich auch dem Hinweg dort drüben gesehen habe. Aber wenn ich jetzt so schaue, da sind nur Felsen. Aber vielleicht kann mensch ja unten am Fluss bei den Orleanderhecken entlanggehen.

Irgendwie entscheiden wir uns dafür, gleich zu queren und ruck zuck machen sich alle daran, den Felsen zum Fluss hinunterzukraxeln. Es ist eine ziemliche Kletterei, die je nach Erfahrung mehr oder weniger anstrengend ist. Unten angekommen, hat Martin schon mal die ausgeguckte Furt ausprobiert und festgestellt, das war wohl nix. Etwas weiter Fluss aufwärts entdeckt er eine bessere Stelle. Also geht es die Hälfte des Felsens wieder hoch, um zur nächsten Sandbank zu kommen. Auch hier erschließt sich der Weg in Richtung Camp nicht so richtig, überall Felsen. Ich sehe Martin drüben auf der anderen Seite hoch oben auf einem Fels stehen – da soll ich doch nicht etwa auch hoch?? Aber davor hat die Wandergöttin die Querung des Flusses gesetzt. Martin ist wieder zurückgekommen. Er behält seine Wanderstiefel an und hilft uns beim Gepäck. Ich habe wie immer meine wasserfesten Wandersandalen dabei und fühle mich am Anfang im Fluss auch sehr sicher. Michael und ich gehen zusammen in den Fluss. In der Mitte wird es nicht nur ´ne Ecke tiefer, mir geht das Wasser gut bis an den Bauch, auch die Strömung wird heftiger. Immer wenn ich stehenbleibe, merke ich, wie mir die Steine unter den Schuhen weggezerrt werden und die Strömung mich kräftig drückt. Ich erinnere mich an Martins Anweisung: „Immer mit dem Bauch in die Strömung“, probiere ein bisschen rum und siehe da, sich der Strömung entgegenzustellen ist am leichtesten. Mit einem komischen Gefühl im Bauch kämpfen wir uns auf die andere Seite durch und haben es dann auch gleich geschafft. Lachend zeigt uns Martin ein Foto von uns: Händchenhaltend mitten im Fluss. „Erzählt zu Hause bloß nicht, da sei starke Strömung gewesen“. Pah Martin, das war eine starke Strömung, zumindest für uns!

Aber das dicke Ende kommt erst noch. Wie schon von der anderen Seite aus zu vermuten war: Es gibt keinen Weg am Fluss entlang. Also musste es doch die Kletterei über die Felsen werden. Die Felsen hoch, ein Stück den Hang entlang, dann die Felsen wieder runter. Damit sind meine Kräfte ziemlich am Ende. Trotzdem nehme ich den Rucksack, den Michael bis dahin tapfer und ohne zu klagen geschleppt hat. Wieder geht es steil die Felsen hoch und schnell geht gar nichts mehr. Ich nehme den Rucksack ab, stelle ihn auf den nächsten Felsvorsprung und klettere hinterher. Nach einer Weile kommt Martin nachsehen, wo seine beiden Schlusslichter bleiben. Er nimmt mir den Rucksack ab, so dass Michael und ich die Hände frei haben. Also steil den Felsen rauf und logischerweise auch wieder steil runter. Als ich die Kletterstrecke endlich als absolutes Schlusslicht geschafft habe, geht gar nix mehr. Nun spielt auch noch mein Kreislauf verrückt, Piepvögelchen zwitschern um meinen Kopf herum. Aber es hilft ja nix, ich will wieder ins Camp. An einer seichten Flussstelle machen wir endlich eine längere Pause. Ich ziehe meine Stiefel und meine Hose aus und dann ab in den Fluss. Zwei Schritte, ich rutsche aus und sitze bis zur Brust im Wasser – auch ok.

Der Rest des Weges erweist sich als „Rentnerweg“ und ist in recht kurzer Zeit geschafft. Als wir am Camp wieder auf Steffi treffen, die bei den Zelten bleiben musste, sehen wir gerade noch ihren Besuch entschwinden: Ein sowas von sich männlich fühlender Marokkaner, der einen Hund bei sich an der Leine führt. Er hätte versucht sie anzugraben und als das nicht klappte, sie über uns – ihre Familie - ausgefragt, erzählt Steffi lächelnd. Solche Typen lässt sie doch am langen Arm verhungern. Den Rest des Tages liegen wir faul in der Gegend rum, nur Martin und Hartmut machen nachmittags noch mal einen Gang zu einer Kasbar (größeres Haus, hier als Ruine). Als sie zurückkommen strahlt Martin: „Habt ihr ein Glück, dass ich das eben erst entdeckt habe, ein ideales Camp!“ 

Auch heute haben wir wieder viele Beobachter, sie sitzen am gegenüberliegenden Ufer und schauen mehr oder weniger auffällig zu uns herüber. Auch Steffis „Freund“ ist wieder dabei, der hat sich mit einigen anderen an einer Badestelle getroffen und planscht nun – immer wieder beifallheischend zu uns schauend – im Wasser. Als wir so gar nicht reagieren, zieht er als letztes verzweifeltes Mittel seiner Wahl die Badehose aus und präsentiert sich im Adamskostüm. Aber außer einer für ihn unsichtbaren heiteren Reaktion unsererseits erreicht er damit auch nicht mehr, als dass wir noch ein bisschen über ihn spekulieren: Der wird wohl mal in Europa gewesen sein, Hund an der Leine und nackiger Popo, das ist alles sehr untypisch für einen Marokkaner.  

Abends am Feuer erkundigt sich Martin mal ganz vorsichtig nach unseren Bedürfnissen der Nahrungsaufnahme. Ob wir es denn tolerieren könnten, wenn’s mal knapp und unregelmäßig würde? Meine Meinung dazu: Dass es auf dieser Reise nicht Punkt 12 Uhr und Punkt 20 Uhr das 3-Gänge-Menü gibt, ist doch klar, oder? Aber vielleicht war die Frage ja doch wichtig, um bei dem einen oder der anderen noch mal das Bewusstsein dafür zu schärfen.